Mittwoch, Dezember 26, 2007

Der "neue Atheist" Christopher Hitchens

Christopher Hitchens Buch Der Herr ist kein Hirte (God is not great – How Religion poisons everything) stellt keine überzeugende Verteidigung der Vernunft dar, so jedenfalls mein vorläufiges Urteil nach 100 Seiten Lektüre. Es ist das Werk eines Journalisten, eines sicher intelligenten, belesenen Journalisten, der es durchaus versteht seine Leser zu fesseln, dem aber die Einsicht eines professionellen Philosophen fehlt. Gegen das Pseudo-Wissen von Religion stellt Hitchens die Alternative eines Skeptizismus und Biologismus, die zudem auch nur angedeutet wird. Auf Seit 15 findet sich etwa folgende Formulierung:

Wir verlassen uns nicht ausschließlich auf Naturwissenschaften und Vernunft, denn sie sind zwar notwendig, aber nicht erschöpfend.


Auf Seite 19 heißt es dann, dass „die menschliche Spezies von Natur aus nur teilweise rational ist.“
Die letztgenannte Formulierung lässt zumindest vermuten, dass der Mensch eigentlich besser rational sein sollte, was er aufgrund biologischer Defizite nach Hitchens Auffassung offensichtlich nicht vermag, wohingegen die erste Formulierung auf irgendetwas Anderes außerhalb der Vernunft verweist, was Hitchens für notwendig hält. Zu gerne möchte man wissen, was dieses Etwas sein soll. Vermutlich nimmt Hitchens irgendeine Form von angeborenem Wissen an. Auf Seite 96 heißt es etwa, dass „der Mensch von Natur aus egozentrisch“ sei. Überhaupt fällt auf, dass Hitchens den Menschen häufig in die Nähe von Tieren rückt. Auf Seite 98 nennt er den Menschen, auch sich selbst, ein „menschliches Säugetier“. Ziemlich beeindruckt stellt er auch fest, dass das Schwein, „dieses wunderbare Tier“, ein relativ naher Verwandter ist. (S. 55) Auf Seite 240 allerdings fällt ihm auf, was das „menschliche Säugetier“ grundsätzlich von den „anderen Säugetieren“ unterscheidet:

Doch außerordentlich viele Menschen scheinen der Ansicht zu sein, dass wir dem Verstand und dem Denkvermögen –die uns ja von unseren tierischen Verwandten unterscheiden- misstrauen, ja dass wir sie so weit wie möglich dämpfen müssen. Die Suche nach dem Nirwana und die Auflösung des Intellekts halten an. Und jedes Mal blubbert es in der realen Welt wie Brausepulver.


Außerordentlich verräterisch ist auch Hitchens Formulierung, dass, wenn er Helden hätte (!), George Orwell sein Held sein könnte, dem er anschließend dann im nächsten Satz einen durchaus schwerwiegenden Vorwurf macht. (S. 23) Offenbar ist der Mensch für Hitchens irgendwie ein Mängelwesen, das zu wirklicher Größe nicht fähig ist. Auf Seite 24 schreibt er, dass der religiöse Glauben „unausrottbar“ sei, eben „weil wir noch so unzureichend entwickelt sind.“ Wartet Hitchens auf Nietzsches „Übermenschen“ oder wie gedenkt er diese unzureichende Entwicklung zu korrigieren? Er selbst nimmt sich von dieser skeptischen Einschätzung des Menschen keineswegs aus, schließlich trat der Atheist Hitchens bei seiner ersten Eheschließung gleich der griechisch-orthodoxen Kirche bei – um seinen griechischen Schwiegereltern einen Gefallen zu tun. (S. 28) Schließen möchte ich mit einem schönen Zitat von Hitchens, wo er Schiller erwähnt, und korrigiert (man beachte die Formulierung „wir“):

Der geniale Schiller irrte sich, als er in seiner Jungfrau von Orleans sagte: „Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens.“ Nein, mithilfe der Götter blasen wir unsere Dummheit und Leichtgläubigkeit bis ins Unkenntliche auf.


Übrigens: Auf den ersten 100 Seiten fällt der Name Ayn Rand nicht, obwohl sie Hitchens durchaus bekannt ist, und ich wie ich gelesen habe, wird dieser Name auch auf den restlichen Seiten des Buches keine Erwähnung finden. Erwähnt wird allerdings Whittaker Chambers, berühmt-berüchtigt für seine Kritik an Atlas Shrugged, der irgendwann einmal ein religiöses Erweckungserlebnis gehabt haben will, als er das Ohr seiner kleinen Tochter betrachtete. (S. 102)