Mittwoch, September 01, 2004

Wie ich zum Objektivismus kam

Fabian: Bevor ich zum Objektivismus gekommen bin, habe ich in einem großen Krankenhaus im Ruhrgebiet als Zivi gearbeitet. Zu meinen Aufgaben gehörten Tätigkeiten wie der Transport von Patienten, Befunden, Blut und Leichen. Nach einigen Monaten dieser stimulierenden Arbeit traf ich einen Engländer, der einen Patienten besuchte. Wir kamen irgendwie ins Gespräch und er fragte mich, ob mir die Arbeit gefiele. Zurückhaltend und höflich wie ich bin, habe ich ihm in exzellentem Englisch (*ähem*) erzählt, dass ich mich wie ein Sklave fühle. Er hat mir erzählt, dass er in England Literatur unterrichtet und hat mir ein Buch empfohlen, das den seltsamen Titel The Virtue of Selfishness trug. Tage später dachte ich aus irgendeinem Anlaß über die Vorzüge meines Jobs nach. Möglicherweise war es meine durch Nachtschichten verursachte Müdigkeit oder bloß ein Penner, dessen Kotze ich wegwischen mußte. Vielleicht war es aber auch die Tatsache, dass ich an einem Tag weniger verdiente als ich zuvor in einer Stunde verdient hatte. Jedenfalls fiel mir der Titel des Buchs wieder ein. Der Titel klang zwar ziemlich merkwürdig, aber ich dachte mir, dass das Buch vielleicht relevant für meine gegenwärtige Situation sein könnte.
Sieben Jahre später schreibe ich einen Eintrag in einem Forum genannt Objektivist, während ich auf das olympische Basketballfinale warte.
Es ist übrigens seltsam auf Deutsch über Objektivismus zu schreiben oder zu lesen. Ich hoffe, ich gewöhne mich daran. Jedenfalls bin ich froh darüber, dass ich in Deutschland nicht der einzige explizite Objektivist bin.

Martin: Irgendwann zwischen 2002/03 las ich in der Sportrevue ein Interview von Mike Mentzer, in welchem er unter anderem ein wenig über seine Philosophie erzählte. Seine Bücher waren schnell bestellt und immer wieder ging er in diesen kurz auf Ayn Rand ein. Auf seiner Homepage wurde ebenfalls The Fountainhead zum Kauf angeboten. Ich war sehr beeindruckt von seiner Persönlichkeit (und bin es noch), nie schien er mit sich selbst oder mit dem, was er tat, unzufrieden zu sein.
Bald darauf kaufte ich mir das Buch Der Ursprung. Ich verschlang es. Wer ist John Galt kaufte ich mir bald darauf. Dies sind bis jetzt meine einzigen Bücher von Ayn Rand. Auf Englisch habe ich diese Bücher nie gelesen.
Der Ursprung hat mein Denken stark beeinflußt. Anfangs war ich geschockt, da ich Parallelen zwischen mir und Peter Keating herstellen konnte. Für jemanden, der dachte, immer das Richtige getan zu haben, war das zu Beginn sehr demotivierend. War ich früher bekennender Altruist (bis zu einem gewissen Grad bin ich es heute noch, die Macht der Gewohnheit) und Anti-Kapitalist, so bin ich heute Objektivist und Kapitalist, und stolz darauf. Auch wenn es manchmal zu heftigen Streitereien zwischen mir, meinen Mitstudierenden und meinen Professoren kommt, wenn es um Ansichten politischer sowie wirtschaftlicher Dinge geht. Man kann nicht (bzw. will nicht) verstehen, dass ich zwar gegen Bush bin, aber ebenso gegen einen Michael Moore.
Mit Mike Mentzer hätte ich gern über den Objektivismus diskutiert, aber dieser ist mittlerweile verstorben. Ich schrieb also der Frau, die ihn jahrelang als Sekretärin begleitet hatte und die nach seinem Tod seine Firma übernahm, Joanne Sharkey. Sie arbeitet sehr intensiv daran, sein Erbe gebührend zu vertreten und vertritt dieselbe Philosophie und ich kann ihr dafür nur meine Hochachtung aussprechen. Diese Frau hat übrigens letztens entdeckt, dass die deutschen Bücher von Mentzer ohne Erlaubnis und ohne dafür Geld zu bekommen, übersetzt wurden und auf verschiedenen Websites verkauft werden. Sie wird bald gerichtlich gegen diese Plünderer vorgehen.
Wenn ich im Sommer 2005 fertig bin, gehe ich einen Monat arbeiten, mache einen Monat Ferien, dann zwingt mich der einjährige Zivildienst erstmal zur Sklavenarbeit.
Was ich dann mache, weiß ich leider noch immer nicht. Außer Bodybuilding, Objektivismus, Englisch und Geschichte interessiert mich leider nichts. Kinder möchte ich keinesfalls unterrichten - falls ich überhaupt Lehrer werde. Sollte ich unterrichten, dann nur Erwachsene. Vielleicht suche ich mir aber auch - wie meine Ex-Kolleginnen - vorher einen regulären Job. In einem objektivistischen Zentrum würde ich mit Begeisterung arbeiten ... aber so etwas gibt es ja leider weder in Deutschland noch in Österreich.

Thomas: Mein ehemaliger Schach-Lehrer hat mir zum Lesen Atlas Shrugged empfohlen. Atlas habe ich in zwei Wochen auf Englisch verschlungen, und dann immer mehr Bücher von Rand. Das war 1997. Ich studiere im "Endstadium" Elektrotechnik und werde hoffentlich bald als HF-Ingenieur arbeiten.

Wolfgang: Mein Interesse, und meine Begeisterung für den Objektivismus, hat sich ergeben aus der Beschäftigung mit dem Liberalismus, auf den ich im Jahr 1997 stieß durch einen Artikel in Die Welt oder Welt am Sonntag, in dem mehrere Bücher über und zum Liberalismus vorgestellt wurden. In der Folgezeit stieß ich zwar auch auf den Namen Ayn Rand und besuchte hin und wieder verschiedene objektivistische Websites, aber dies waren für mich nur einige unter vielen Informationsquellen. Regelmäßig besuchte ich damals die Website lewrockwell.com, eines paleo-libertären, d. h. anarcho-kapitalistischen, Informationsportals. Ebenso bewunderte ich allerdings auch den mittlerweile leider verstorbenen E. G. Ross, den objectiveamerican.com. Der Name der Website könnte zwar auf ein objektivistisches Angebot schließen lassen, allerdings hat sich Ross nicht als Objektivist verstanden, wenn auch sein philosophischer Hintergrund mit dem von Rand sicherlich vergleichbar ist. Der 11. September, die großen Terroranschläge gegen zentrale Institutionen des amerikanischen Kapitalismus, gaben dann für mich den Ausschlag, solche anarcho-kapitalistischen Sites wie lewrockwell.com zukünftig vollständig zu meiden, denn die Argumentation, Amerika die Schuld für die Terroranschläge in die Schuhe zu schieben und jede militärische Reaktion unter den Verdacht des Imperialismus zu stellen, erschienen mir widerwärtig und realitätsverleugnend. Die konsequente und kämpferische Haltung der Objektivisten hat mir den Anstoß gegeben, mich näher mit dem philosophischen Background dieser Menschen zu befassen, und ich mußte feststellen, dass es wirklich lohnt, dies zu tun.

Alexander: Mitte/Ende der 1980er habe ich, schon früh "wirtschaftsnah" denkend, die Wirtschaftswoche abonniert und regelmäßig von vorne bis hinten gelesen. Hinten (im Heft) war es auch, wo ich Bekanntschaft mit dem damaligen Herausgeber der WiWo, Prof. Wolfram Engels, gemacht habe. Seine Argumente für die Freiheit und den Kapitalismus haben mich auf Anhieb überzeugt. Nachdem ich das Prinzip "Freiheit" verstanden habe, habe ich rasch begonnen, radikaler zu denken. In der Retrospektive würde ich sagen, dass ich mich Anfang der 1990er langsam zum Anarchokapitalisten entwickelt habe, damals noch ohne zu wissen, dass dieser Begriff und die entsprechende Bewegung jenseits des Atlantiks überhaupt existierte. Gleichzeitig war ich, auch schon sehr früh, überzeugter Atheist und Fan des wissenschaftlichen Fortschritts. Als ich aus Neugier eine Broschüre von Neo-Tech bestellte, war ich bei deren Lektüre entzückt zu entdecken, dass jemand diese zwei Dimensionen meines Seelenlebens rhetorisch so gut auf den Punkt bringen konnte: Transhumanismus, Anti-Mystizismus und individuelle Freiheit. Man stelle sich vor, eine Gesellschaft ohne Tod und Steuern! Mir läuft heute noch ein Schauer über den Rücken, wenn ich daran denke. Da ich damals die radikale Rhetorik von Neo-Tech und deren gesellschaftlichen/biotechnologischen Ziele zwar lustig und inspirierend fand, mir aber in deren unausgereifter "Philosophie" schnell Lücken auffielen, ließ ich mir von meiner Freundin, 1996 muss es gewesen sein, aus den USA Dr. Peikoffs wundervolles Werk Objectivism: The Philosophy of Ayn Rand mitbringen.

Ayn Rands Atlas Shrugged habe ich mir erst später, durch Fotokopie bei der Deutschen Bibliothek, zugänglich gemacht. Die Geschichte hat mich stellenweise, sprichwörtlich, zu Tränen gerührt. Danach habe ich mir immer mehr Nonfiction von Rand besorgt und begonnen, mich, im jetzt aktuell gewordenen, Internet nach anderen Objektivisten wie mich umzuschauen und selbst Texte zu übersetzen. Als ersten Objektivisten habe ich Thomas bei einer Veranstaltung von GEWIS kennen gelernt. Wir hatten in der Folgezeit eine ausgedehnte Korrespondenz, bei der wir die eine oder andere Schwierigkeit im Objektivismus diskutierten, unter anderem die Frage, ob nun Minarchismus oder Anarchokapitalismus logisch konsistenter wären. Mich hat damals die Argumentation von Roy Childs überzeugt, der vertrat, dass private Rechtsagenturen mit dem Non-Aggression-Principle eher vereinbar seien als traditionelle, selbst minimal auf Zwangsbesteuerung beruhende Staaten.

Dann kam der 11. September. Als ich die Bilder immer wieder im Fernsehen sah, glaubte ich fest, der dritte Weltkrieg sei ausgebrochen. Als sich dann herausstellte, dass islamische Terroristen die Urheber waren, wurde mir schnell klar, dass das alte Spiel Kapitalismus gegen Kommunismus endgültig ausgespielt war. Mein Lebenskonzept stürzte in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Ich kann zwar nicht behaupten, dass ich mich vollkommen erholt habe, aber mir sind nun die veränderten Prioritäten in der Weltpolitik zu Bewusstsein gekommen -- und die Chance, die das für Objektivisten bietet .Der Konflikt der Ideologien ist keinesfalls vorbei, es haben sich nur seine Pole verschoben. Das neue Spiel heisst Aufklärung gegen Barbarei. Objektivisten haben nun die Chance, die intellektuelle Speerspitze der Aufklärung in einer neuen, dunkleren Ära zu werden. Dazu ist viel Arbeit notwendig. Wir können uns glücklich schätzen, mit Wolfgang einen talentierten Kommunikator mit journalistischem Talent in unserer Mitte zu haben, der diese Arbeit in Deutschland begonnen hat. Es liegt nun an uns, bei dieser Arbeit zu helfen, wo es nur geht.