Das Bundesamt für den Zivildienst gibt eine monatliche Zeitschrift für Zivildienstleistende heraus, deren Ziel es ist, Fragen von Zivildienstleistenden zu beantworten und ihnen zu demonstrieren, was für eine wunderbare Sache der "friedliche Zwangsdienst" ist. In der Novemberausgabe geht um ein vom BAZ organisiertes Fußballspiel zwischen Amtspersonen und Zivildienstleistenden (in selbst gestalteten schneeweißen "Zivipowertrikots"), einen exotischen "Anderen Dienst" (Infos zum Anderen Dienst im Ausland hier) in der chilenischen Hafenstadt Valparaiso (Ersatzdienstleistender Jasencak: "Uns war es wichtig, Werte wie Toleranz und Akzeptanz zu vermitteln", "Ich weiß mehr, wer ich bin und was ich will"), künstlerische Selbstentfaltung von Zivildienstleistenden etc. O Muße, Mutter der Künste und der edlen Tugenden, sei du der Balsam für die Schmerzen der Menschheit!" (Paul Larfargue, Schwiegersohn v. K. Marx in "Recht auf Faulheit", 1883)* Einleitend macht der Autor des Plädoyers folgende Feststellung: "Heute wollen wir in die Zeit, die uns zur Verfügung steht, immer mehr hineinpacken. Langeweile wird als destruktiv empfunden, als quälende Spannung. Die Muße als Pause zwischen den Arbeitsabschnitten, steht dagegen hierarchisch etwas höher." Ja! Die Menschen wollen aus ihrem Leben soviel wie möglich herausholen und verachten die Ziel- und Sinnlosigkeit. Gemäß dem Objektivismus ist Erholung völlig legitim und wertvoll, solange sie produktives Schaffen voraussetzt. "Freizeitaktivitäten sind eine Art der Erholung und und setzen etwas voraus, von dem man sich erholt; sie haben nur einen Wert als Form von Entspannung und Belohnung nach der Durchführung von Arbeit." (L. Peikoff, OPAR, S. 301) Doch diese legitime Form von Erholung soll in dem Artikel nicht befürwortet werden; es geht vielmehr um den die "als destruktiv empfundene, quälende Spannung". Nun gibt es offenbar ein Problem, denn: "Faulsein, schon das Wort – ein Sakrileg an sich. Der Horro vacui: Die Furcht vor der Leere, vor der unerfüllten Erwartung. Bloß nie ohne Aufgabe sein. O Graus – tödliche Langeweile, Erlebnisarmut, Beziehungseinerlei." Doch die Lösung ist einfach: Es muss nur der "Umgang mit der Zeit neu gelernt werden und die Begrenztheit eigener aktivistischer Möglichkeiten einschließen." Anders ausgedrückt: Wir müssen lernen, nichts zu tun - auch wenn es anfangs weh tut! Ignoriert werden dabei die Tatsachen, dass das Leben ein "Prozess selbsterhaltenden und selbstgenerierenden Handelns" (A. Rand, VOS, "Die Objektivistische Ethik") ist; dass Zielorientiertheit ein tragender moralischer Wert und eine Voraussetzung des Selbstwertes ist; dass produktive Arbeit zum Erhalt unseres geistigen und körperliches Wohlergehens erforderlich ist und deshalb korrekterweise eine wesentliche Rolle in unserem Leben spielt. Es ist ein natürliches Verhalten für den Menschen, sich und seine Umwelt ständig zu verbessern, nach Neuem zu streben und es zu verwirklichen; Leben ist Bewegung, Aktivität, Abenteuer – Stillstand bedeutet Tod. Wie kann man einen zu dieser Offenkundigkeit widersprüchlichen Standpunkt überzeugend vermitteln? Gar nicht – aber man kann eine vage Geschichte erzählen, mit vielen Implikationen, die man nicht näher erläutern oder gar beweisen muss. Der Autor des Plädoyers, Ethnologe Thomas Geduhn, schildert eine "virtuellen Reise ins Reich der Muße": Erholung in der Form von jeglicher (Freizeit-)Aktivität ablehnend wird jetzt eine Tourismusbranche angenommen, die das "Thema Muße und Langeweile" entdeckt hat. Die Langeweile, die manche heute schon im Urlaub erleben, wird auf einer Reise mit dem jungen Unternehmen "Reise mit Weile" noch übertroffen: "[Es wird] folgendes angeboten: Tagedieberei, Rückbesinnung auf die eigene Innenwelt, Pflichtvergessenheit sowie Den Höhepunkt der Reise stellt ein Besuch beim Stammeshäuptling dar: "Der Oberfaulpelz ruht ungeniert auf einer landestypischen Liege und scheint nicht gerade auf uns gewartet zu haben. [...] Nach einer Zeit des Dies und Das will schließlich ein Reisender wissen, ob er als Häuptling denn nichts anderes tue als faulenzen. Vergeblich versucht Reel-Tiet [der Häuptling] zu antworten, aber seine Faulheit nötigt ihn zu einem wohligen Schweigen. Nein, es wird deutlich: dies ist kein Lenz**, kein Oblomov***. Dies ist, wenn überhaupt, Nietzsches Magyar, die Gestalt der Faulheit, von der er wenig vornehm behauptet: 'Der Magyar ist viel zu faul, um sich zu langweilen. [...]' Gähnend bleibt Reel-Tiez liegen und grübelt wie es scheint über seine Faulheit, aber er ist zu faul, um sein Grübeln zu Ende zu führen. Die Antwort bleibt aus. [...] Vor seinen zerfallenden Augen verschwindet der Raum in dichtem Traumnebel, und die Gruppe erkennt die Sehnsucht nach tiefem Schlaf auf seinem Gesicht." "Ungeachtet des hohen Preises müsse sich jeder Mensch, so die Geschäftsleitung von 'Reise mit Weile', diese kostbare Ware gönnen können." Was hier unterschwellig zu vermitteln versucht wird, ist das Gegenteil der Lebensmoral, die einen aktiven Verstand und produktives Schaffen fordert. Es ist das Bild der Mittelmäßigkeit, das das Nichtstun zum moralischen Ideal erhebt und Verzicht auf die Nutzung des Verstandes, auf das Streben nach Werten, fordert. Der Häuptling ist ein geeignetes Beispiel für einen lebenden Toten, für äußerste Selbstlosigkeit. Selbstlosigkeit erfordert Opfer, entweder für ein höhers Ziel (Gott, die Mitmenschen) oder – als Selbstzweck. Die implizite Forderung des Artikels ist nicht weniger als die freiwillige Aufopferung der eigenen Ambitionen für die Mittelmäßigkeit des Nichts. Das Plädoyer richtet sich – natürlich – auch gegen den Kapitalismus. Bildern eines beschäftigten Jungunternehmers, der Börse, eines Hochhauses werden Aufnahmen eines Blumengartens und eines Palmenstrandes gegenübergestellt. Die falsche Alternative, die suggeriert wird, ist: Hektische, entfremdende Arbeit vs. "idyllische" Langeweile. Tatsächlich aber können nur die berüchtigten Börsenmakler und ihr moralisches Äquivalent – zielorientierte, produktive Menschen jeder sozialen Schicht – idyllische Ruhe vollends genießen. In einem sich an das Plädoyer anschließenden Interview (Titel: "Nehmen wir unsere Arbeit zu wichtig?") – wieder mit dem Ethnologen Thomas Geduhn – werden Zielorientiertheit, Produktivität und Fortschritt nocht einmal aufs Korn genommen; es geht um die Gleichwertigkeit von Industriegesellschaften und Jäger- und Sammlerkulturen, in denen nicht über das äußerste Existenzminimum hinaus produziert und eine Anpassung an den Lebensraum gewährleistet wird - "ein sehr kluges und weises Verhalten" (!). Als Ursachen für dieses Verhalten werden Kultur und Glauben genannt, kurzum: Wenn wir unseren Verstand ein wenig mehr ausschalten würden, könnten wir auch ein bisschen mehr wie die Punan oder die Inuit leben. Jeder Zivildienstleistende, dessen Bestrebungen vom öden Zwangsdienst auf Monate hinausgezögert werden, muss diese Artikel als zynischen Spott empfinden. Es ist unerhört, lebensfähigen Menschen den Start in die Welt unter Einschränkung ihrer Individualrechte zu erschweren und sie dann auch noch davon zu überzeugen versuchen, dass Ehrgeiz und Mühe mittelmäßiger Trägheit unterzuordnen sind, dass die westliche Welt nicht besser ist als irgendein zurückgebliebener Stamm. Den Erfolg der Lehre von der Langeweile dokumentiert u.a. die Dekandenz der heutigen Jugendkultur, das sinnlose Vandalieren, und nicht zuletzt der weit verbreitet Unwille zu politischen Reformen, mehr Selbstverantwortung und der aktiven Mitarbeit beim Schritthalten Deutschlands mit der Wirtschaftskraft aufstrebender Nationen. Nicht der Tod bei lebendigem Leibe, sondern der freie und produktive Mensch ist ein moralisches Ideal! *Es war mir bis jetzt neu, dass sich ein marxistischer Intellektueller damals so offen für das Nichtstun eingesetzt hat. Lesen sie selbst und stoßen sie auf müßiggängerische Ausbeutungsphantasien wie: "Aber gleich Papageien plappern die Proletarier die Lektionen der Ökonomen nach: 'Arbeiten wir, arbeiten wir, um den Nationalreichtum zu vermehren!' O ihr Idioten! Weil ihr zu viel arbeitet, entwickelt sich die industrielle Technik zu langsam...[...]Um die Kapitalisten zu zwingen, ihre Maschinen von Holz und Eisen zu vervollkommnen, muss man die Löhne der Maschinen von Fleisch und Bein erhöhen und die Arbeitszeit derselben verringern." (Link zu weiteren Auszügen) ** Lenz ist ein Charakter aus G. Büchners Woyzeck. Er war jemand, "der sich aus lauter Langeweile noch nicht einmal selbst töten wollte" (Zitat aus dem Artikel). *** aus dem gleichnamigen Buch von Ivan Goncharov |
Dienstag, Dezember 14, 2004
Pro Zivildienst? Pro Langeweile?
Posted by Anonym at 14.12.04
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