Am 2. Februar jährte sich der Geburtstag von Ayn Rand zum 100. Mal. Die 1905 in Russland geborene Schriftstellerin und Philosophin immigrierte 1926 in die USA und stieg dort durch ihre Romane The Fountainhead und Atlas Shrugged, von denen auch heute noch -23 Jahre nach ihrem Tod - Hunderttausende von Exemplaren verkauft werden, zur Bestsellerautorin auf. Jim Peron nennt Atlas Shrugged zweifellos einen "der einflussreichsten Romane, der je geschrieben wurde." Ein Roman, von dem viele Amerikaner sagen, dass seine Lektüre ihr Leben verändert hätte. Die Idee zu Atlas Shrugged, an dem sie 11 Jahre arbeitete, wurde während eines Telefonats geboren, das Rand nach der Veröffentlichung von The Fountainhead mit Isabel Paterson geführt hatte. Die ersten Verkaufszahlen von The Fountainhead waren enttäuschend gewesen und Isabel Paterson forderte Rand auf, ihre Philosophie durch Sachbücher dem Publikum nahe zu bringen. Die Menschen bräuchten ihre Ideen und Rand hätte die Pflicht, Sachliteratur zu schreiben. Rand reagierte ärgerlich und stellte die Frage, wie es denn wäre, wenn sie in den Streik treten würde, wenn alle kreativen Köpfe der Welt in den Streik treten würde. "Dies wäre ein guter Roman", fügte Rand an und nach dem Telefonat ermutigte sie ihr Ehemann Frank O'Connor, aus dieser Idee einen Roman entstehen zu lassen. "Der Streik" war dann auch lange Zeit der Arbeitstitel für das sich entwickelnde Werk gewesen, das schließlich im Jahr 1957 erscheinen sollte und einen wahren Aufruhr auslöste. Der Schriftsteller Gore Vidal bezeichnete Atlas Shrugged in einer Kritik als "perfekt in seiner Unmoralität". Für die bösartigeste und absurdeste Kritik sorgte allerdings der Konservative Whittaker Chambers, der auf jeder Seite des Buches den Befehl "To a gas chamber - go!" hören wollte. Und dies bei einem Buch, dessen Höhepunkt aus einer dreistündigen Radioansprache besteht, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt: "Solange Menschen zusammen leben wollen, darf niemand physische Gewalt gegen andere initiieren -hört ihr?- darf niemand anfangen, physische Gewalt gegen andere anzufangen."
"Ayn Rand ist ein amerikanisches kulturelles Phänomen," beginnt Allan Gotthelf sein Buch On Ayn Rand und tatsächlich ist die Diskrepanz zwischen der Anerkennug und Verehrung, die Ayn Rand in Amerika erfährt, und ihrer Akzeptanz im Rest der Welt, vor allem außerhalb der englischsprachigen Welt, erheblich. Dies ist natürlich kein Zufall. Ayn Rand sprach durch ihre Romane aus, was viele Amerikaner fühlten, aber niemand vorher in derart prägnante Worte übersetzt hatte und sie schuf eine objektivistische Bewegung von begeisterten Lesern und Anhängern ihrer Philosophie. Ihre Philosophie, der sie den Namen Objektivimus gab, läßt sich in aller Kürze mit den Begriffen Vernunft (als einziges Mittel zum Erwerb von Wissen und als Handlungsanleitung), rationaler Egoismus (als das Recht, seine eigenen theoretische Werte zu haben und sie in der Realität umzusetzen) und Individualismus (mit seinem politischer Ausdruck und seiner Konsequenz: Laissez-faire-Kapitalismus) beschreiben. Es war ein revolutionäres Unterfangen: "Ich weiß, dass ich die kulturelle Tradition von zweieinhalb Tausend Jahren herausfordere." 1971 faßte Ayn Rand in ihrer Zeitschrift The Objectivist ihre Philosophie folgendermaßen zusammen: "Ich bin nicht in erster Linie eine Befürworterin des Kapitalismus, sondern des Egoismus; und ich bin nicht in erster Linie eine Befürworterin des Egoismus, sondern der Vernunft. Dies - der Vorrang der Vernunft - war, ist und wird immer das primäre Anliegen meiner Arbeit sein, und die Essenz des Objektivismus."
Ayn Rand verstand sich allerdings primär als Schriftstellerin und nicht als Philosophin. Für sie war die Philosophie nur ein Mittel, ein absolut notwendiges zwar, aber gleichwohl nur ein Mittel, um in ihrer Literatur eine Welt zu schaffen, in der sie gerne leben würde, die Welt des perfekten Menschen und seines perfekten Lebens. Um diese perfekte Welt zu definieren, benötigte sie eine Philosophie. Sie sah Philosophie als absolut notwendig für jeden Menschen an, wie sie es in ihrer Rede an der Militärakademie von West Point betonte: "Als ein menschliches Wesen haben Sie keine Wahl hinsichtlich der Tatsache, dass Sie eine Philosophie brauchen." Die Frage ist nur, ob sich Menschen bewußt für eine Philosophie entscheiden und ob es eine Philosophie ist, die Erfolg und Glück auf dieser Welt möglich macht. Fortschritte bei der Ausbreitung ihrer Philosophie muss man sicherlich, zumindest für die USA, konstatieren, aber ist der Objektivismus wirklich zu einer prägenden Kraft innerhalb der amerikanischen Kultur geworden? Steve Chapman beschreibt in einem Kommentar für die Chicago Tribune Ayn Rand als eine Person, die im Mainstream Amerikas angekommen sei: "Die radikale Befürworterin von Individualismus und Kapitalismus, die 1982 starb, ist nicht länger mehr eine exotische Vorliebe." Man sollte sich allerdings nicht täuschen lassen von Briefmarken mit Rands Konterfei oder von den Aussagen von Prominenten, die angeblich von Rand inspiriert wurden, denn wenn sich Rand wirklich im Mainstream Amerikas etabliert hätte, sähe dieses Land anders aus. Ihre Romane beweisen es. Eher ist der Aussage von Peter Schwartz zuzustimmen: "Ich denke, dass der Objektivismus an Einfluss gewinnt. Noch nicht in der Mainstream-Kultur, aber an den Rändern." |