Mittwoch, November 22, 2006

Peikoff sieht Gefahr einer Theokratie

Für die amerikanischen Zwischenwahl im November hatte Leonard Peikoff eine Wahlempfehlung zugunsten der Demokraten abgegeben, die in objektivistischen Kreisen eine teilweise heftige Diskussion ausgelöst hat: "Die dringendste politische Aufgabe ist es jetzt, die Republikaner von der Macht zu entfernen, wenn möglich im Repräsentantenhaus und im Senat. Dies bedeutet, konsequent für demokratische Kandidaten zu stimmen, selbst wenn sein Gegner ein 'guter' Republikaner ist." Peikoff begründet dies damit, dass die Republikaner für Religion stünden, und Religion sei die einzige reale Gefahr für Amerika zur Zeit, wohingegen der Sozialismus, für den die Demokraten stünden, seinen Höhepunkt bereits überschritten hätte und die heutigen Linken nicht mehr die leidenschaftlichen Kollektivisten der dreißiger Jahre wären. Ausdrücklich weist Peikoff am Ende seines kurzen Artikels auf die Möglichkeit einer Theokratie in Amerika hin, die sich in weniger als 50 Jahren etabliert haben könnte. Diese Wahlempfehlung konnte nicht besonders überraschen, da Peikoff bereits bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl mit ähnlichen Argumenten den demokratischen Kandidaten Kerry unterstützt hatte. Überraschend, und für viele Objektivisten befremdlich und enttäuschend, war diesmals der von Peikoff geäußerte Vorwurf, dass Menschen, die die Republikaner wählten oder zu Hause blieben, den Objektivismus nicht verstünden. Implizit wird sogar der Vorwurf erhoben, dass ein solches Verhalten unmoralisch sei. Erweitert man den Zeitrahmen allerdings, läßt sich feststellen, dass Peikoff die Vorstellung einer drohenden theokratischen Gefahr für die USA erst in den letzten Jahren entwickelt haben muss. In seinem Buch Omninous Paralles, das Anfang der achtziger Jahre erschien, weist er ausdrücklich die Idee einer religiösen Gefahr zurück -nicht allerdings die Gefahr einer Diktatur nazistischen Typus. Selbst im Jahr 1998 sprach Peikoff noch davon, dass sich Amerika langsam von der Religion entferne: "Historically speaking, we're still emerging from the medieval period; each century since the Renaissance has seen a decline in religion, and it's still disappearing, but it's going to take a long, long time." Vermutlich kam es bei Peikoff erst im Zusammenhang mit seiner Arbeit an der DIM-Hypothese zu einem Sinneswandel. Unter den Unterstützern von John Kerry befand sich neben Peikoff auch der objektivistische Redner und Autor Craig Biddle, der zur Begründung seiner Haltung eine Art Katastrophenstrategie präsentiert. Kerry sei das größere Übel, aber gerade deshalb sollte er gewählt werden. Biddle schafft es, im gesamten Text nichts Positives über Kerry sagen zu können, ihn aber trotzdem zu empfehlen: "John Kerry ist abscheulich, aber ich werde für ihn stimmen. (...) Stimmt für Kerry und versucht, nicht zu kotzen." Ausgangspunkt für die Argumentation von Biddle ist ein Zitat von Ayn Rand, wo sie sagt, dass ein halber Kampf schlimmer ist als gar keiner. Bush treibe eine "aufopfernde Außenpolitik", die den Amerikanern aber als "hawkish" verkauft würde, und damit wäre die Möglichkeit einer wirklich selbstbewußten Außenpolitik aus der Debatte verbannt worden. Auch auf die Innenpolitik bezogen wiederholt Biddle dieses Argument. Bush habe den Begriff Kapitalismus aus der innenpolitischen Debatte entfernt, er habe etatistische Politik in eine kapitalistische Terminologie gepackt. Eine Amtsübernahme Kerrys würde sozusagen die Fronten klären. Die Taube machte eine taubenhafte Politik und deklariert sie auch als solche, was die Rechte animieren würde, Druck auf die Taube auszuüben, um diese in Richtung einer selbstbewußteren Politik zu drängen. Biddles Strategie ist nicht nur naiv und unrealistisch, so ist auch moralisch zweifelhaft, weil sie das Gute befördern will durch die Akzeptanz des Opfers. So hätte Biddle etwa den 11. September im Grunde genommen begrüßen müssen, da auch dieses Massaker klare Fronten schaffte, indem es den barbarischen Charakter des islamistischen Terrors so unmißverständlich deutlich machte. Biddle begeht darüber hinaus den Fehler, das Verhältnis von Politik und Kultur auf den Kopf zu stellen. John Hospers stellt in seiner Stellungnahme zu den Präsidentschaftswahlen klar, dass die Amerikaner "psychologisch" nicht auf eine "libertäre" Gesellschaft vorbereitet seien. Richtiger sollte man feststellen, dass sie philosophisch weder auf eine kapitalistische Gesellschaft noch auf eine robuste Außenpolitik vorbereitet sind. Bush machte nicht seine persönliche "christliche Ethik" zu schaffen, sondern es war die widersprüchliche Ethik seiner Landsleute selbst, die eine andere Strategie seiner Außenpolitik verhinderte. So waren etwa fast alle amerikanische Kirchen gegen den Irak-Krieg. Bush befand sich also schon in Opposition mit einem Teil seiner Anhänger -von der linken, pazifistischen Opposition einmal abgesehen-, ohne dass er versucht hätte, Biddles Strategie einer wirklich "hawkischen" Außenpolitik umzusetzen. Bush ist weit entfernt davon, ein idealer Kandidat zu sein. Dies ist zweiffelos richtig. Er dürfte sich aber schon am Rande dessen befinden, was die Amerikaner bereit sind, zu wählen. Wer einen idealeren Kandidaten im Amt sehen möchte, muss kulturelle Änderungen befördern, sodass Biddles Vorschlag, zur Verbreitung des Objektivismus beizutragen, tatsächlich ins Schwarze trifft, ganz im Gegensatz zu seinen übrigen Argumenten. Übrigens wird sein Argument, dass ein halber Kampf schlimmer sei als gar keiner, nicht einmal von Leonard Peikoff geteilt, der in einer Rede nach Beginn des Irak-Krieges feststellte, dass dieser Krieg immerhin besser sei als überhaupt nichts zu tun. Zu den Unterstützern von Präsident Bush im Jahr 2004 und der Republikaner bei den Zwischenwahlen 2006 gehörten vor allem Harry Binswanger, Betsy Speicher und Robert Tracinski.Der Publizist Robert Tracinski, Herausgeber der objektivistischen Zeitschrift The Intellectual Activist, hat in einem Beiträg für die September-Ausgabe seiner Zeitschrift die Wahl von George W. Bush empfohlen: "Bush ist weit davon entfernt für diejenigen, die eine robuste Verteidigung der Zivilisation wollen, der perfekte Kandidat zu sein. Aber er ist unser Kandidat, so wie er ist, und er verdient unsere Unterstützung." Das entscheidende Thema bei dieser Wahl sei der Krieg gegen den Terrorismus, wobei Kerry für "Rückzug und Passivität" stehe. Bush hingegen stehe für eine grundsätzlich richtige Strategie, die er aber schlecht ausführe.
Betsy Speicher, eine bekannte Objektivistin, wählte damals in dem schon genannten Forum eine etwas zugänglichere Sprache -außerhalb von Peikoffs DIM-Hypothese-, die allerdings ebenfalls Peikoffs Prämissen deutlich in Frage stellt: "Ich denke, wenn es um Politik geht, sind die religiösen Konservativen sehr viel rationaler als ihre Opponenten. Sehen wir uns drei konkrete Beispiele von religiösen Konservativen an: Rush Limbaugh, Seann Hannity und Ann Coulter. Während sie Abtreibung ablehnen und manchmal Pornographie aus religiösen Gründen verbieten möchten, unterstützt keiner von ihnen eine Theokratie oder irgendetwas in der Art. In 90 % der Fälle stützen sie ihre politischen Ansichten auf FAKTEN, mit denen ein Objektivist übereinstimmen würde, und in den meisten Fällen sind ihre Endziele die gleichen wie unsere. Man vergleiche dies mit den Demokraten und ihren Anhängern. Sie sind der Realität so entfremdet, dass ihre Politik sich stützt auf eine gewaltige, hysterische Mythologie ..." Anders als Betsy Speicher, die das Ayn Rand Institute unterstützt, steht Ed Hughins auf Seiten der konkurrierenden Atlas Society, wo er sogar die Funktion eines "Geschäftsführenden Direktors" ausfüllt, aber ähnlich wie sie sieht er keine Beweise für eine drohenden Theokratie in den USA: "Wir sind nicht meilenweit davon entfernt, ein neues Iran zu werden, wir sind Lichtjahre davon entfernt." Hughins vergleicht die politische und kulturelle Situation in den USA heute mit der aus den 50er Jahren, wo viele Dinge selbstverständlich waren, für die heute die Religiösen noch nicht einmal kämpfen würden. Heute kämpft die religiöse Rechte gegen die Homo-Ehe, aber sie kämpft nicht gegen eine Illegalisierung der Homosexualtität an sich. Neben den bekannten Objektivisten bezogen in verschiedenen Diskussionsforen natürlich auch viele unbekannte Objektivisten Stellung. Ein Leser der Harry Binswanger List stellte Peikoffs Argumentation zugunsten von Kerry folgendermaßen in Frage: "Ich stimme der Meinung zu, dass, wenn es tatsächlich bei der Wahl um ein M2 (Befürworter des Totalitarismus) und ein D1 (Befürworter einer gemischten Wirtschaft) ginge, es dann absolut essentiell wäre, für D1 (Kerry) zu stimmen. Ich bin aber nicht überzeugt, dass Bush ein M2 ist. Ich denke vielmehr, dass beide D1 sind. Beide sind Befürworter einer gemischten Wirtschaft, beiden mangelt es an Ideologie, und beide sind moralische Feiglinge. Bush behandelt ein religiöses Dogma nicht als ein Absolutum, nicht als Quelle des Wissens, sondern nur als ein Instrument, um Dinge zu rechtferigen, die er bereits weiß (d.h. Ideen, die er als selbstevident ansieht)."