Sonntag, März 06, 2005

Betrug und die Initiierung von Gewalt

Ayn Rand ging davon aus, dass individiduelle Rechte nur durch die Anwendung von Gewalt verletzt werden können. Der Begriff Gewalt wird von Rand allerdings durchaus in einem weiten Sinn verstanden, d. h. eine Handlung gilt als gewaltätig auch ohne eine Person physisch zu verletzten oder ihr mit einer solchen Verletzung zu drohen. Wird eine Person durch eine dritte Person dazu gebracht, ohne freiwilligen Konsens zu handeln, dann ist ihr Recht verletzt worden.
In The Virtue of Selfishness schreibt Rand: "Das Recht eines Menschen zu verletzen bedeutet, ihn zu
zwingen, gegen sein eigenes Urteil zu handeln, oder ihn seiner Werte zu enteignen.
Grundsätzlich gibt es nur einen Weg dies zu tun: durch die Anwendung physischer Gewalt."
Eine ähnliche Formulierung verwendet Rand auch in Textbook of Americanism. Der Umfang der Gewalt ist bei Rand aber nicht begrenzt auf die offensichtliche physische Gewaltanwendung, wie z. B. das Erschießen eines Menschen oder das Abbrennen seines Hauses. Rand spricht ausdrücklich auch von "indirekten Formen" von Gewalt, wie z. B. Betrug oder einseitige Vertragsverletzung. In einer Fragestunde in der Ford Forum Hall befürwortet Rand auch Gesetze gegen üble Nachrede und Verleumdung. In ihrem Aufsatz The Nature of Government definiert Rand den Begriff Betrug folgendermaßen: "Betrug beinhaltet eine ähnlich indirekte Form von Gewalt. Er besteht aus dem Erhalten von materiellen Werten ohne den Konsens des Eigentümers, unter Vortäuschung falscher Tatsachen oder Versprechungen."

Geht man von einem erweiterten Gewaltbegriff aus, dann läßt sich auch die Frage beantworten, ob etwa Betrug in einer objektivistischen Gesellschaft zwar moralisch verwerflich, aber ansonsten strafrechtlich nicht relevant wäre, wie es immer wieder objektivistischen Kreisen diskutiert wird. Richtigerweise weist Joseph Rowlands in einem Beitrag für solohq.com darauf hin, dass Betrug eine Form von Diebstahl ist, eine sanfte, stille Form von Diebstahl. Aber auch bei einem Diebstahl ist es ja charakteristischerweise so, dass der Dieb keine offene physische Gewalt anwendet -anders etwa als bei einem Raub-, um sich unrechtmäßig eines fremden Eigentums zu bemächtigen. Das Diebstahlopfer könnte möglicherweise nicht einmal bemerkt haben, dass ihm etwas gestohlen wurde. Legt man allerdings den Maßstab "gegen den freiwilligen Konsens" an, dann wird deutlich, dass es sich um eine Initiierung von Gewalt handelt. Ebenso sieht es im Fall des Betrugs aus. Das Problem ist allerdings, dass oberflächlich betrachtet das Opfer freiwillig sein Eigentum aufgibt, somit das Kriterium des freiwilligen Konsens gegeben wäre. Es könnte sich somit nicht um eine Form von Diebstahl handeln. Betrug basiert auf einem ökonomischen Austauch von Gütern oder Dienstleistungen, wobei allerdings eine Seite ihren Teil der vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt. Weil der Übergang der Eigentumsrechte konditional ist, ist ein Betrüger zwar zu einem Besitz gekommen, er ist aber nicht Inhaber der legalen Eigentumsrechte. Wer mit einem ungedeckten Scheck ein Auto kauft, handelt nicht anders als ein Dieb, weil das Rechtsgeschäft durch einen Mangel auf der Seite des Käufers gar nicht zustande gekommen ist, auch wenn das Auto bereits freiwillig übergeben wurde. Betrug wird üblicherweise dann angewendet, wenn es problematisch ist, sich eines Eigentums durch direkten Diebstahl zu bemächtigen, was aber nichts an der Tatsache ändert, dass sich um eine Form des Diebstahls handelt. Da es sich um eine spezifische Form der Verletzung von Eigentumsrechten handelt, ist Betrug auch zu unterscheiden von anderen Fällen von Täuschung. Wenn Menschen lügen, d. h. Tatsachen anders darstellen als sie sind, verletzten sie dadurch noch nicht unbedingt Eigentumsrechte, auch wenn sie moralisch verwerflich handeln.