Dienstag, Juni 01, 2004

Emotionen als Produkte von Ideen

"Mein Pazifismus ist instinktiver Natur - ein Gefühl, von dem ich bessessen bin." Albert Einstein

Chris Wolski, Mitarbeiter des Ayn Rand Institute, stellt in einem Interview fest, dass Vernunft, nicht Freiheit oder Individualismus, der zentrale Eckstein des Objektivismus sei.
Vielen kommt bei der Idee eines Lebens, das von der Vernunft geleitet wird, die Figur des Mr. Spock in den Sinn, des leidenschaftslosen Vulkaniers vom "Raumschiff Enterprise", der menschliche Gefühle als Schwäche ansah. Auch wenn Mr. Spock ein Mann der Aufklärung sein sollte, wie es E. G. Ross formulierte, so ist er doch sicherlich keine Verkörperung eines objektivistischen Helden, was natürlich mit Spocks Ablehnung von Emotionen zu tun hat, denn der Objektivismus ist keineswegs anti-emotional, wie es Leonard Peikoff erläutert: "Der Objektivismus ist nicht gegen Emotionen, sondern gegen Emotionalismus."

Howard Roark als personifizierte Lebensfreude

Rand dachte, dass der Mensch "die Vernunft als sein einziges Absolutum" ansehen sollte, dass der Mensch ein Leben exklusiv nach der Vernunft führen kann, dennoch beschrieb sie Howard Roark, ihren Helden aus The Fountainhead, als "die personifizierte Lebensfreude".
Er ist ein Mensch mit tiefen Emotionen, der eine intensive Liebe für seine Werte empfindet und der mutig handelt, um sie zu verwirklichen. Richtig ist, dass der Objektivismus davon ausgeht, dass Gefühle keine Quelle von Erkenntnis sind und keine Handlungsanleitungen sein dürfen. Aber Vernunft und Emotionen schließen sich nicht gegenseitig aus, sie stehen nicht in einem feindlichen Verhältnis zueinander. Gefühle sind ebenso wichtig wie die Vernunft, aber sie dienen unterschiedlichen Zwecken, über die wir uns im klaren sein müssen, wenn wir ein glückliches Leben führen wollen. Nathaniel Branden schreibt in einem Beitrag für die Zeitschrift The Objectivist Newsletter aus dem Jahre 1962, dass die Frage: "Aber was ist mit der emotionalen Seite der menschlichen Natur?" tatsächlich bedeutet: "Aber was ist mit meinen irrationalen Wünschen?".

Eine Definition von Gefühlen

Wie lassen sich Gefühle und Vernunft definitorisch unterscheiden? Nathaniel Branden schreibt in seinem Buch Die 6 Säulen des Selbstwertgefühls, dass Emotionen "eine automatische psychologische Reaktion" sind, bei der "zugleich geistige und physiologische Faktoren" im Spiel sind. Die Vernunft hingegen definiert er folgendermaßen: "Vernunft ist die Fähigkeit, die das Material, das unsere Sinne uns liefern, identifiziert und integriert." Diese beschriebene Reaktion ist ein Resultat unserer unbewußten Bewertung von Dingen. Craig Biddle nennt unser Wissen, unsere Überzeugungen und unsere Werturteile die "spirituelle Ursache" unserer Emotionen. Wenn Menschen Gefühle zeigen, zeigen sie Reaktionen auf Ereignisse, auf Menschen und Meinungen, die ihre tiefsten innersten Werte reflektieren. Sie machen eine Abschätzung darüber, ob etwas ihren Werten förderlich ist oder sie bedroht. Ein Wert ist das, was man erwerben und behalten will.
Die intellektuelle Komponente der Emotionen grenzt diese von reinen Empfindungen -Hitze, Druck, Schmerz- ab, die unabhängig von dem Bewußtsein durch physikalische Reize auftreten. Zwei intellektuelle Elemente sind notwendig, damit es zu einer Emotion kommt: 1. Eine Person muss ein Verständnis oder eine Identifikation von dem betreffenden Objekt haben. 2. Sie muss dieses Objekt einer Prüfung unterziehen, die ihr sagen kann, ob das Objekt gut oder schlecht, wünschenswert oder unerwünscht für sie ist. Leonard Peikoff unterscheidet insgesamt vier Schritte bei der Erzeugung einer Emotion: 1. Perzeption (oder Imagination) 2. Identifikation 3. Evaluation 4. Reaktion. Viele Menschen sind allerdings der Ansicht, dass sie wahrnehmen und danach fühlen, ohne die intellektuellen Zwischenschritte. Dies glauben sie deshalb, weil sich Identifikation und Evalution in der Regel unbewußt und mit einer enormen Geschwindigkeit vollziehen.

Werte und Gefühle

Da Menschen unterschiedliche Werte haben, bedeutet dies auch, dass das gleiche Ereignis durchaus unterschiedliche Emotionen in verschiedenen Menschen hervorrufen kann. Craig Biddle hat in seinem Buch Loving Life dazu folgendes Beispiel entworfen: Morgendliche Übelkeit bei verschiedenen Frauen kann durchaus zu unterschiedlichen emotionalen Reaktionen führen. Eine Frau, die seit langer Zeit versucht, schwanger zu werden, wird zwar ein körperliches Unwohlsein spüren, aber aufgrund des Kinderwunsches in eine freudige Erregung verfallen. Eine zweite Frau will zwar auch schon schwanger werden, weiß aber nichts von einer morgendlichen Übelkeit und wird ihr Unwohlsein für eine Grippe halten. Dieses ist ein deutliches Beispiel für die intellektuelle Komponente der Emotionen. Die dritte Frau wird in Panik verfallen, weil sie nicht schwanger werden wollte und ihre Religion ihr eine Abtreibung verbietet. Die physische Erfahrung aller drei Frauen ist identisch, aber ihre Reaktionen sind höchst unterschiedlich. Ideen sind allerdings nicht nur größtenteils unbewußt, sondern auch inkonsistent. Menschen besitzen häufig widersprechende Ideen ohne sich dessen bewußt zu sein. Werden Konflikte zwischen diesen Ideen virulent, werden sie häufig als ein Zusammenstroß zwischen Vernunft und Emotionen fehlinterpretiert.

Emotionale Gesundheit

Von gesunden Emotionen und einer gesunden Psyche läßt sich dann sprechen, wenn unsere Emotionen sich im Einklang mit der Realität befinden. Wenn dies nicht der Fall sein sollte, wenn sich unsere Emotionen im Konflikt mit der Realität befinden, sehen wir uns der Aufgabe ausgesetzt, an uns zu arbeiten, um diesen Zustand zu verändern. Wir müssen aber verstehen, dass unsere Gefühle nur Konsequenzen unserer Ideen sind, und unsere Ideen nur eine Konsequenz unseres Denkens ist. Dieses Denken kann rational oder irrational sein. Wenn jemand ein Gefühl hat, dass im Konflikt steht mit einem bewußten, rationalen Urteil, bedeutet dies, dass er unterbewußte Ideen hat, die im Gegensatz stehen zu seinen bewußten Ideen. Wir müssen zu diesen unbewußten Ideen vorstoßen und versuchen diese durch einen rationalen Denkprozess zu korrigieren, um unsere Emotionen wieder in Einklang mit der Realität zu bringen. Craig Biddle nennt hier das Beispiel eines Kindes, was von rassistischen Eltern mit irrationalen Ideen gefüttert wurde. Dieser Mensch wird ungesunde, schädliche Emotionen erleiden, wenn er nicht beginnt, für sich selbst zu denken, nach Beweisen zu suchen, und schließlich die falschen Ideen durch richtige ersetzt. Wenn es zu einem scheinbaren Konflikt kommt zwischen Emotion und Vernunft, d. h. zwischen bewußten und unbewußten Ideen, kann die bewußte Idee korrekt sein und die unbewußten Ideen falsch. Es kann allerdings auch umgekehrt so sein, dass wir ein Gefühl haben, dass sich aus einer richtigen, unbewußten Idee ergibt.

Emotionen sind Fakten

Craig Biddle weist auch auf den wichtigen Umstand hin, dass Emotionen selbst Fakten sind, d. h. sie sollten nicht unterdrückt oder ignoriert werden: "Wie alle relevanten Fakten sollten sie anerkennt und richtig betrachtet werden." Aber trotz aller Wichtigkeit geben sie uns keine Erkenntnis über die Realität. Nur die Vernunft kann uns sagen, was richtig oder falsch, gut oder schlecht ist. Dazu müssen wir die Fakten betrachten und uns der Logik bedienen.

Emotionen und Therapie

Die Anerkennung der Verbindung zwischen Werten und Gefühlen führt dazu, dass im Rahmen einer Psychotherapie der Therapeut keine neutrale Position in Bezug auf die Werte des Patienten einnehmen kann. Er muss bereit sein, sich den falschen Werten des Patienten zu stellen und ihm dabei zu helfen, sie zu korrigieren. Wenn dem Patienten dieser Zusammenhang klar ist, wirkt dies außerordentlich therapiefördernd und gibt ihm die Zuversicht, dass seine Probleme einer Lösung zugänglich sind. Dies unterscheidet diesen Ansatz von der religiösen Vorstellung der Erbsünde und ihrer säkularen Version, der freundianischen Theorie eines ES. Diese sind, abgesehen davon, dass sie einen Angriff auf die Vernunft bedeuten und sich nicht durch Fakten beweisen lassen, auch extrem anti-therapeutisch.

Die Geist-Körper-Dichtotomie
Leonard Peikoff sieht in der Geist-Körper-Dichotomie, die seit Plato den Westen beherrscht hat, den Grund dafür, dass ein Zusammenprallen zwischen Denken und Fühlen nicht als Zusammenstoß von Ideen begriffen wird. Die Emotionen werden als körperlich und weltlich definiert, wohingegen die Vernunft als "rein", "nicht-empirisch" und "nicht-materialistisch" gesehen wird.



Literatur:
Nathaniel Branden, Emotions and Values, in: The Objectivist, Mai 1966
Craig Biddle, Loving Life - The Morality of Self-Interest and the Facts that Support it, 2002
Malini Kochhar, Emotions, www.objectivistcenter.org
Joseph Rowlands, Value Judgment vs. Emotions, www.solohq.com
Nathaniel Branden, Die 6 Säulen des Selbstwertgefühls, 1994
Leonard Peikoff, Objectivism: The Philosophy of Ayn Rand, 1991, S. 153 - 158

Studienfragen:
1. Was sind die beiden "intellektuellen" Elemente, die in einer emotionalen Reaktion enthalten sind? Gebrauchen Sie eigene Beispiele, um diese beiden Elemente zu erklären. Warum müssen beide Elemente präsent sein? Schließlich: Was ist der grundlegende Unterschied zwischen Empfindung und Emotion?

2. Erklären Sie, warum die meisten Leute denken, dass Emotionen keine intellektuelle Ursache haben. Erklären Sie außerdem den scheinbaren "Konflikt", im Kopf vieler Menschen, zwischen Denken und Emotion.

3. Erklären Sie, warum die Geist-Körper-Dichotomie einige Philosophen dazu bringt, zu glauben, dass Emotion und Denken gegeneinander stehen. Ihre Antwort sollte eine Erklärung ihrer Sicht der Vernunft und ihrer Metaphysik einschließen.