Donnerstag, April 01, 2004

Buchkritik: The Ayn Rand Lexicon

Das von Harry Binswanger, Professor für Philosophie am Objectivist Academic Center des Ayn Rand Institute, herausgegebene The Ayn Rand Lexicon kann natürlich kein systematisches Studium des Objektivismus ersetzen, aber für eine schnelle Information über Ansichten, die Ayn Rand über bestimmte Themen geäußert hat, ist es vorzüglich geeignet. Anzumerken ist allerdings, dass anders als der Titel es nahe legt, nicht nur Texte von Rand verwendet werden, sondern auch andere Objektivisten, vor allem aber Leonard Peikoff, ihr selbsternannter "intellektueller Erbe", zu Wort kommen. Überraschenderweise findet sich unter dem Stichwort Economic Good eine kurze Definition dieses Begriffs in einem Zitat des Ökonomen George Reisman, der mittlerweile allerdings beim Ayn Rand Institute in Ungnade gefallen ist, wobei dieser Bruch allerdings keinen philosophischen Hintergrund hat wie etwa die Trennung von David Kelley. Die Idee zu einem solchen Lexikon stammt von Harry Binswanger, der im Jahr 1977 Ayn Rand damit bekannt machte. Sie reagierte zunächst skeptisch, zeigte sich im Verlauf der von Binswanger redigierten Texte aber zunehmend enthusiastischer. Da die Arbeit allerdings für einige Zeit aufgrund anderer Tätigkeiten von Binswanger unterbrochen werden mußten, hat Rand selbst nur etwa 10 % der gesamten Textes gesehen. Berücksichtigt wurde ausschließlich die Sachliteratur von Rand oder Material aus ihren fiktiven Werken, das philosophischen Charakter hat. Bei den Texten von anderen Autoren gibt Binswanger den Hinweis, dass es sich um Werke handele, die Rand ausdrücklich öffentlich gebilligt habe. Einen besonders breiten Raum nimmt die Darstellung und Kritik der Philosophie von Immanuel Kant ein, nicht nur weil Rand so viel über Kant geschrieben hat, sondern auch wegen des enormen Einflusses von Kant auf die Geschichte der Philosophie. Das philosophische System von Kant steht dem Objektivismus diametral entgegen, was Ayn Rand zu der, ebenfalls im Lexikon zitierten, Äußerung motiviert haben könnte: "Kant ist der böseste Mann in der Geschichte der Menschheit." Und an anderer Stelle: "Es ist kein Zufall, dass Eichmann Kantianer war." "Böse" ("Evil") war für Rand "alles, was Anti-Leben ist." Diese Definition weicht auffällig von dem ab, was die meisten Menschen unter "böse" verstehen, nämlich die bewußte Entscheidung, etwas zu tun, von dem man weiß, dass es unmoralisch ist. Da das Lexikon recht häufig aus der Rede von John Galt ("Galts Speech") in Atlas Shrugged zitiert, kann der deutschsprachige Leser auch einen gewichtigen Teil der verwendeten Zitate in der deutschen Übersetzung des Romans ("Wer ist John Galt?) nachlesen. Auch der Aufsatz What is Capitalism?, aus dem auch einige Zitate stammen, liegt in einer deutschen Übersetzung vor ("Nutzen und Moral", hrsg. von Gerd-Klaus Kaltenbrunner). Insgesamt läßt sich feststellen, dass das Lexikon ausgesprochen nützlich ist, um sich schnell einen Überblick über die Auffassungen von Rand zu bestimmten Themen zu verschaffen und dass es deshalb in keiner Bibliothek eines Lesers fehlen sollte, der Sympathie oder Interesse für die Philosophie von Ayn Rand aufbringen kann.

1 comments:

Wolfgang hat gesagt…

Name des Absenders: Bodo Wünsch
eMail des Absenders: bwuensch@gmx.de
Nachricht: Liebe Mitglieder von EGO,

Sie führen unter \"FAQ\" folgende Frage auf:

\"Wer war Immanuel Kant?\"

.. und zitieren den Randianer Peikoff:

\"Kant war der größte Verfechter der Selbstaufopferung in der Geschichte des Denkens. Er ging davon aus, dass totale Selbstlosigkeit die Pflicht des Menschen sei, dass Leiden das Schicksal des Menschen im Leben sei, und dass jedes egoistische Motiv, jede Suche nach persönlicher Freude und jede Form der Selbstliebe, das Gegenstück zur Moralität sei.\"

[Leonard Peikoff, in: The Objectivist Forum, Dec. 1983]

Dieser Kant ist mir gänzlich unbekannt. Leider fehlen die Stellenangaben zum Kantischen Werk, die diese Aussagen belegen. Vielleicht wäre es Ihnen möglich, dies nachzuholen - denn Kant ist tot und kann hierzu nicht Stellung nehmen. Ich möchte Sie aber darauf vorsorglich hinweisen, dass Sie entsprechende Belege nicht finden werden - es gibt sie schlicht nicht. Peikoffs Darstellung verdreht Kant ins gerade Gegenteil, und es ist mir unvorstellbar, dass sich Peikoff so äußern konnte. Ich habe da einen Verdacht.. aber dazu unten mehr.

Lassen Sie mich zunächst eine Stellungnahme - wenn sie auch an dieser Stelle recht grob erfolgt:

Immanuel Kant ist glücklicherweise der größte Freiheitsdenker, den die Menschheit je gesehen hat. Kant hat das Sittengesetz als kategorischen Imperativ formuliert, der jedes moralischen und rechtlichem Handeln von irrationalen, mystischen, religiösen, traditionellen oder sonstigem \"Dritten\" befreit (vgl. KpV).

Allein die Vernunft und das (freie) Vermögen des Menschen, im Gegenstaz zum Tier, sein Handeln am Sittengesetz zu orientieren, ist für Kant Quelle, Maßstab und Richtung von Moral (ebda).

Jede Pflicht, die für den Menschen gilt, ist nach Kant SELBST auferlegt - in freier Entscheidung. (KrV)

Anmerkung: Ich selbst bin über Kant zum Kritischen Rationalismus (Popper, H. Albert) gekommen und über diese schließlich zu A. Rand, die mE eine der wichtigsten Freiheitsautorinnen des vergangenen Jhdts. gewesen ist. Ihren \"Objektivismus\" lese ich als einer der schärfsten Beiträge, das vom Kollektivismus geplagte Individuum auch lebenspraktisch \"zu befreien\".

Aber ich lese ihren \"Objektivismus\" nicht als philosophischen Beitrag. Rand liefert weder eine phil. Systematik, noch durchzieht ihr Werk etwas, was man \"logischen Atem\" nennen könnte. Ihr gesamtes Denken baut auf wenigen Axiomen, die als unbegründete Behauptungen eingeführt werden und auf denen Sie eine wohl eine großartige Dogmatik errichtet. ME liefert sie - quasi nebenbei - eine fast schon Kantische Haltung zu vielen theoreitschen und praktisch-philosophischen Fragen, und bei der Lektüre ihres Werks habe ich mich nicht nur einmal gefragt, ob sie sich nicht insgeheim von Kant hat inspirieren lassen.

Rands \"Objektivismus\" ist ein Empirismus und ein sehr hölzerner Positvismus, der im aristotelisch-amerikanischem Tarnkleid daherkommt (\"Pursuit of Happiness\", Rand, in: Virtue of Selfishness, 1964): Abgesehen von der grundsätzlichen prinzipientheoretischen Schwäche ihres gesamten Werks, Normatives ausschließlich auf empirischen und damit zufälligen Voraussetzungen gründen zu wollen - eine fundamentale Schwäche, die sie mit der gesamten angelsächsischen Philosophie teilt (vgl. etwa Rawls, der ebenso eine \"Philosphie\" des Positivismus und Empirismus liefert) - also abgesehen davon möchte ich Ayn Rand ausdrücklich - wie Sie und Ihre Initiative EGO - und gleichermaßen als Rationalist und Radikalliberaler wärmstens allen Mystikern, Kollektivsten und Wirklichkeitsverdrehern empfehlen.

Viele Grüße
Bodo Wünsch
München
Staatswissenschaftler und ef-Autor