Donnerstag, März 04, 2004

Der Rothbard-Rand-Bruch

In der Geschichte des amerikanischen Radikalliberalismus ist es nur eine Episode, aber eine, an die sich manche Legenden knüpfen, denen man eine Dauerexistenz in den Köpfen der Menschen nicht erlauben sollte. Ich meine die kurze Episode eines intellektuellen Kontaktes zwischen dem Ökonomen Murray Rothbard, dem Vater des modernen Anarcho-Kapitalismus (1926 - 1995) und Ayn Rand, der Begründerin des Objektivismus.

Der Initiative für den Kontakt zwischen Rothbard und Rand ging von Rothbard aus, der nach Aussage von George Reisman im Sommer 1954, über drei Jahre vor der Veröffentlichung von Atlas Shrugged, den Namen von Rand bei einem Gruppentreffen erwähnte und ein Treffen mit Rand im Juli des gleichen Jahres arrangieren konnte. Beide traffen sich danach ungefähr fünf oder sechs Mal in einem größeren Kreis. Von diesen Treffen existieren keine Tonbandaufnahmen, sodass man naturgemäss nur noch auf die Äußerungen der Beteiligten zurückgreifen kann. Eine Tonbandaufnahme existiert allerdings von einem Interview, dass Barbara Branden mit Rothbard für ihre Rand-Biographie The Passion of Ayn Rand führte, wo er behauptete, dass er Rand kaum kenne und wenig über sie sagen könne. Was ihn allerdings nicht davon abgehalten hatte, nach dem Abbruch der Kontakte zur Gruppe von Rand über den "totalitären Kult der Randianer" herzuziehen.

Nach dem Abbruch der Interaktion zu Rand trennte sich ein Teil der Mitglieder von Rothbards Circle Bastiat von ihrem Vordenker und stieß zur Gruppe von Rand. Über die Ursachen der Trennung existieren höchst unterschiedliche Versionen, auf die im folgenden noch ausführlicher einzugehen sein wird. Andre F. Lichtschlag schreibt in seinem Buch Libertarianism nur recht lapidar, ohne dafür eine Quelle anzugeben: "Rothbard überwirft sich früh mit der privat wenig umgänglichen Ayn Rand und entwickelt ihren Objektivismus als Naturrechtsphilosphie weiter." Noch nebulöser drücken sich Andre F. Lichtschlag und Michael Kastner in der Zeitschrift eigentümlich frei ( Nr. 39) aus: "Zeitweilig gehören Mitglieder der Gruppe (des Circle Bastiat, W. Sch.) auch dem engeren Kreis um die 'Hohepriesterin des Kapitalismus', Ayn Rand, an. Die amerikanische Bestsellerautorin Rand wird die Anarcho-Kapitalisten später als 'hippies of the right' bezeichnen - und meiden." Auch hier kein Hinweis darauf, warum Rand die Anarcho-Kapitalisten, und speziell Rohtbard, "mied", und auch kein Hinweis auf den Frontwechsel, den einige von Rothbards Anhängern nach der Trennung von Rand vollzogen, darunter auch George Reisman und Robert Hessen.

Persönliche Antipathien mögen für das Ende der Beziehung zwischen Rand und Rothbard durchaus eine Rolle gespielt haben, denn zumindest für Rand ist bekannt, dass sie sich schon beim ersten Treffen mit Rothbard unbehaglich in dessen Gegenwart fühlte und ihn nicht besonders mochte, was selbst bei einer großen ideologischen Nähe keine gute Basis für ein gedeihliches Zusammenwirken ist. Um einen zeitlichen Rahmen für die Episode abzustecken, sollte man festhalten, dass Rands Atlas Shrugged im Oktober des Jahres 1957 in den USA veröffentlicht wurde und der Kontakt zwischen Rothbard und Rand bereits im Juli 1958 wieder vorüber war. Aus Sicht der Gruppe der Objektivisten lag der Grund den Bruch in Rothbards Plagiat eines ihm vorliegenden Skriptes von Barbara Branden. Dieser Vorwurf wurde ihm in persönlichen Briefen gemacht, auf die Rothbard aber nicht antwortete, sondern die Sache öffentlich machte, indem er weitere Personen in die Kontroverse einbezog, unter anderem auch Ludwig von Mises. Desweiteren fühlte sich Rand durch eine Rand-Parodie beleidigt, die Rothbard mit einigen Freunden während einer Party am 2. März 1958 spontan aufgeführt und auf Tonband aufgenommen hatte. Dass Ayn Rand bei einer Person, die sie ohnehin nicht besonders mochte und nun den Vorwurf des Plagiats und der persönlichen Beleidigung machte, jedweden weiteren Kontakt mied, dürfte auf der Hand liegen.

Aus Sicht von Rothbard und seinen Freunden stellte sich die Kontroverse allerdings völlig anders dar. Einer von Rothbards Freunden auf der Rechten, Samuel Francis, schildert dies so:
"Murray, einer der führenden marktwirtschaftlichen Ökonomen und liberalen Denker, war lebenslang ein Agnostiker, aber seine Frau, Joey, war und ist eine Christin. Als sie jünger waren, hatten sie etwas zu tun mit Rand und ihrem Kreis von Gläubigen, aber dann fand die Große den Glauben von Joey heraus.
Rand gab Joey sechs Monate, um sich in ihre eigenen Wälzer gegen die Religion zu vertiefen. Falls Joey am Ende dieser Periode ihren Glauben aufgegeben hätte, könnten sie und Murray sich einschreiben bei der Quelle Aller Wahrheit Selbst. Wenn nicht, hätte sich Murray von Joey scheiden lassen müssen, oder ansonsten wären sie verbannt worden. Murray sagte Rand richtigerweise, dass sie sich zum Teufel scheren solle (oder Worte mit dieser Wirkung). Er behielt seine Frau, und seine Frau behielt ihren Glauben, und irgendwie schafften sie es, glücklich zu leben, ohne die Unterstützung von Rands Weisheit."

Diese Geschichte macht die Runde seit Jahrzehnten und man kann sie überall im Internet so oder so ähnlich nachlesen, und wenn sie tatsächlich stimmen würde, würde sie Rand tatsächlich in ein extrem schlechtes Licht stellen. Rothbard selbst schildert die damaligen Vorgänge in einem Aufsatz für die Zeitschrift Liberty ("My Break with Branden and the Rand Cult") allerdings etwas anders als sein Freund Francis:" Meine Frau Joey war und ist praktizierende Christin. Ich wußte von Anfang an, dass Rand fanatisch antireligiös war, dass Rand Gott weit mehr hasste als sie je den Staat hasste. Also drückte ich es gegenüber Branden bei unserem allerersten Treffen ganz direkt aus: 'Ist es Ihre Meinung, dass ich mich von Joey scheiden lassen sollte, weil sie eine Christin ist?' Nathan antwortete: 'Wie können Sie denken, dass wir solche Monster wären?' Brandens Antwort wiegte mich in einem falschen Gefühl von Sicherheit. Als die Monate sich hinzogen, wurde mir jedoch bewußt, dass, während Branden technisch die Wahrheit gesagt hatte, die randianische Attitüde womöglich sogar noch schlimmer war. Denn ich sollte mich nicht von Joey scheiden lassen, weil sie eine Christin war. Ich sollte mehrere Monate damit verbringen, dass arme Mädchen zu schikanieren, damit sie zum Atheismus konvertiert. Wenn dies scheiterte, sollte ich mich scheiden lassen."

In Rothbards Darstellung ist nicht davon die Rede davon, dass die Objektivisten ihm "gesagt" hätten, er solle sich scheiden lassen. Die geforderte Scheidung scheint nur eine Interpretation der Ereignisse durch Rothbard zu sein. Dort wo er den mutmaßlichen Übeltäter Nathaniel Branden wörtlich zitiert, sagt dieser genau das Gegenteil von dem, was Rothbard suggerieren will. Im Gegensatz zu Francis sagt Rothbard auch nicht, dass Rand etwas mit der Sache zu tun habe. Nathaniel Branden bewertet die Aussagen von Rothbard als Lüge: "Die Religion seiner Frau wurde nie von uns diskutiert und war kein Thema. Rothbard hat so viele Lügen über Rand und mich erzählt, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll." Rothbards Bemerkung über den "Hass" von Rand treffen den Kern der Sache auch nicht, denn Rand war in erster Linie pro-Vernunft, ihre Einstellung gegenüber der Religion war davon nur abgeleitet ("Ich kämpfe für die Vernunft, nicht gegen die Religion." Ayn Rand, Letters of Ayn Rand, 20. März 1965). Auch dürfte sich Rand kaum einem Hass auf Gott hingegeben haben, da dieser nach ihrer Ansicht doch überhaupt nicht existierte. Nathaniel Branden weist in seinem Booknotes-Interview darauf hin, dass die damaligen Objektivisten keine Militanten bei diesem Thema gewesen wären: "Wir waren einfach Nicht-Gläubige."

Obwohl Rothbard davon ausging, dass Rand und ihre Anhänger "fanatisch antireligiös" wären, bringt er das Thema Religion in einer provokativen Weise zur Sprache. Man kann annehmen, dass Rothbard sich durchaus darüber im klaren war, dass seine philosophische Position mit derjenigen der Objektivisten nicht kompatibel war. Rothbards Agnostizismus war für die Objektivisten keineswegs akzeptabler als eine theistische Position. Nathaniel Branden nennt die agnostische Position in einem Aufsatz aus dem Jahr 1963 "die am wenigsten haltbare" Position in Bezug auf die Existenz Gottes: "Der Theist glaubt an die Existenz Gottes - ohne Grund. Der Agnostiker glaubt an die Möglichkeit der Existenz Gottes - ohne Grund. Aber der Theist, der seine Überzeugung ganz offen auf den Glauben stützt, ist in einer Hinsicht näher an der Realität: Er gibt nicht vor, rational zu sein." Rothbard konnte im Laufe der Gespräche mit den Objektivisten nicht verborgen geblieben sein, dass hier eine Gruppe mit einer kohärenten Philosophie und einem großen Sendungsbewußtsein existierte, die keineswegs bereit war, sich durch Personen von außen in Frage stellen zu lassen.
Rothbard stand vor der Alternative, sich entweder durch die Objektivisten überzeugen zu lassen, wie es Reisman oder Hessen aus seinem ursprünglichen Kreis taten, oder zu verschwinden. Rothbard wollte verschwinden, aber nicht ohne vorher provoziert zu haben. Vor der gleichen Alternative stand auch Alan Greenspan, der spätere Chef der amerikanischen Federal Reserve. Rand mochte auch ihn nicht und bewertete seine philosophischen Ansichten als irrational. Greenspan ließ sich allerdings durch Gespräche mit Nathaniel Branden überzeugen, und blieb der Gruppe um Rand erhalten.

Obwohl bestimmte harte Fakten der damaligen Ereignisse, wie zum Beispiel Tonbandaufnahmen, nicht vorliegen, deutet alles darauf hin, dass Rothbard die Vorkommnisse zu seinen Gunsten verdrehte. Er hatte ein Motiv die Sache anders darzustellen als sie tatsächlich war, denn der Plagiatsvorwurf lastete schwer auf ihm, außerdem hatte er Anhänger seines Circle Bastiat an Rand verloren. Es ist auch kaum anzunehmen, dass diese Personen sich auf die Seite von Rand geschlagen hätten, wenn Rothbards Vorwürfe irgendwie zutreffend gewesen wären. Teilnehmer der damaligen Gespräche zwischen Rand und Rothbard sagen auch aus, dass über die Religion von Rothbards Ehefrau niemals gesprochen worden sei. Briefe aus der damaligen Zeit, die erhalten geblieben sind, zeigen auch, dass das Thema "Plagiat" tatsächlich diskutiert wurde, was Rothbard auch selber einräumt. Der Bruch zwischen Rand und Rothbard ist insofern typisch für das politische Leben des Murray Rothbard, als dieser zwar seinen politischen Grundsätzen im Verlauf seines Lebens recht treu blieb, aber bei seinen Bündnispartnern keine Kontinuität wahrte. Als relativ neutraler Zeuge der Rand-Rothbard-Fehde kann noch Roy Childs herangezogen werden, der sowohl mit Rothbard als auch mit Branden befreundet war und während der meisten Zeit seines intellektuellen Lebens Rothbards Anarchismus nahe stand. Childs glaubte, dass die Hauptpunkte der Kontroverse der Plagiatsvorwurf gegen Rothbard und die Lächerlichmachung durch die Rand-Parodie waren. Niemals erwähnte er die Religion von Joey Rothbard als Grund für die sog. Exkommunikation von Murray Rothbard.

Literatur:
Jim Peron: Is Objectivism a Cult? - Part 2, Rothbard Unmasked

G. Stolyarov II: A Critique of Murray Rothbard's "Sociology of the Ayn Rand Cult"

Murray Rothbard: The Sociology of the Ayn Rand Cult

George Reisman: On Meeting Rand, aus: Capitalism: A Treatise on Economics

Die Position zugunsten von Rothbard nimmt Joseph R. Stromberg ein:
Joseph R. Stromberg: Rand vs. Rothbard

2 comments:

Dominik Hennig hat gesagt…

Bei der Kontroverse mit Rothbard kommt eben das gefährlich Sektiererische am Objektivismus sehr deutlich zum Vorschein. Ich glaube nicht, daß die (orthodoxen) Objektivisten in Deutschland eine große Zukunft haben werden.

Wolfgang hat gesagt…

Der Vorwurf, dass es sich bei den Objektivisten um eine "Sekte" oder einen "Kult" handeln soll, wird immer wieder erhoben, er ist aber gleichwohl falsch. Bei den Objektivisten handelt es sich um eine weitgehend strukturlose Bewegung, was man wohl kaum von den Zeugen Jehovas oder kommunistischen Parteien behaupten kann, die sehr feste Strukturen haben und ihren Mitgliedern massive Opfer abverlangen, und die man in der Tat als "Sekten" oder "Kulte" titulieren könnte. Zur Rands Lebzeiten gab es überhaupt keine Mitgliederorganisation, sonder nur das Nathaniel Branden Institute, das allerdings keine Mitglieder geworben hat, sondern Vorträge anbot. Das Ayn Rand Institute, das nach dem Tod von AR gegründet wurde, ist auch keine Mitgliederorganisation. Lediglich dem TOC, das nun allerdings als "undogmatisch" gilt, könnte man beitreten, was allerdings keine besonderen Verpflichtungen auslöst, außer der Zahlung eines geringen Mitgliedsbeitrags.